Im vergangenen Jahr hat Katharina Peham nach langer Vorarbeit eine Zusammenschau des Projekt txt veröffentlicht und illustriert. Im Projekt txt haben Autorinnen und Autoren aus dem deutschsprachigen Raum 4 Jahre lang Texte zu Worten geschrieben, die ihnen jeden Monat als Impulse angeboten worden waren. Dabei sind wunderbare Texte entstanden. Die Anthologie enthält Gedichte sowie Kurzgeschichten, jeweils drei Texte zu 24 Themen. Als Neuerung der Darstellung wurden in der Anthologie die Texte in den Vordergrund gerückt, nicht die Autorinnen und Autoren.
Dennoch bin ich stolz, dass auch ich dabei bin. Im Jahr 2015, noch ganz am Anfang, habe ich an diesem Projekt teilgenommen und einen richtigen Kreativschub erhalten. Eins meiner Gedichte wurde in den Band aufgenommen. Es ist mein Gedicht "abgrundtief".
Die Anthologie wurde bei epubli veröffentlicht und ist über den Buchhandel für 14,99 € erhältlich:
Anthologie Projet txt, Katharina Peham
Sprache: Deutsch, ISBN: 9783752978957, Format: DIN A5 hoch, Seiten: 168
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- Kategorie: Bücher
Carla fiel niemals groß auf. Sie wollte es so, denn ihr wichtigstes Ziel war es, genau wie alle anderen sein. So hatte sie das Gefühl, dazuzugehören und sich mit anderen auf einer Welle zu bewegen, mit dem Strom. Am liebsten waren ihr Situationen, in denen sie nur eine unter Vielen war. Jedes Wochenende begab sie sich in die Einkaufsmeile der Stadt und ließ sich im Kommen und Gehen der Leute mittreiben. Sie nahm auch gerne an großen Events teil, wo sie sich als Teil der Masse fühlen konnte – eins mit allen anderen. Diesen Samstag hatte sie sich eine große Messe vorgenommen. Sie wollte sich auf dem Maimarkt vor der Stadt unter Tausenden anderer Menschen mischen.
Schon die Fahrt mit dem Bus war vielversprechend. An jeder Haltestelle stiegen mehr Menschen zu, so dass bald alle Stehplätze aufgefüllt waren. Es wurde warm im Bus, doch das machte nichts. Die meisten Leute waren schon in Maimarktstimmung und nahmen das Gedränge und Geschaukel belustigt zur Kenntnis. Auch Carla, die einen Sitz ergattert hatte, strahlte die Leute an. Mit ihrem beigen Sonnenhut hatte sie an diesem Tag die richtige Wahl getroffen, wie sie mit Blick auf weitere offensichtliche Maimarkter mit Sonnenschutz feststellen konnte. Schon fühlte sie sich von der Gruppe wunderbar angenommen. Sie alle waren Teil dieses Erlebnisses, sie alle gehörten zusammen, schien es Carla. Und sie bedauerte es, dass sich die Gruppe am Zielort zerstreuen würde. An der Maimarkt-Haltestelle stiegen die meisten aus und Carla folgte ihnen zum Eingang, bezahlte ihren Eintritt.
Als erstes wollte sie sich in einem Menschenstrom auf dem Weg zur Messehalle 1 schieben, später würde sie sich in die Schlange bei dem Bäcker stellen, der die Maimarktbecher verkaufte. Sie freute sich schon auf diese kalorienhaltige Süßspeise mit Erdbeeren und Sahne. Da kamen zwei Ordner auf sie zu. „Halt, junge Frau! Stehengeblieben.“ Carla erschrak. Der eine von ihnen positionierte sich vor ihr und sagte ernst: „Bitte kommen Sie mit uns mit!“ „Aber wieso denn? Was ist denn los? Habe ich etwas verbrochen?“ fragte Carla angestrengt zurück. Es fiel ihr nichts ein, was sie eventuell anders als andere gemacht hätte. Der Ordner lachte und schüttelte den Kopf: „Keine Angst, das erfahren Sie schon noch.“ Beunruhigt folgte Carla den beiden zurück zum Eingang. Ihr kam es so vor, als würde sie vor den Augen aller anderen von der Polizei abgeführt. Die Frau, bei der sie das Ticket gekauft hatte, winkte ihr eifrig aus dem Ticketschalter zu und rief so laut, dass Leute zu ihnen hinüberschauten: „Sie sind unsere 300.000. Besucherin!“ Carla schüttelte den Kopf und hatte das Gefühl, eine Lawine auf sich zurollen zu sehen. Diese Messe belohnte die 100.000., 200.000. und 300.000. Besucher mit kleinen oder größeren Geschenken. Das stand dann auch in der Zeitung, mit Foto und allem Drum und Dran. Carla spürte ihr Herz klopfen, jetzt würde sie auf das Präsentiertablett gehoben. Vor all den anderen Menschen. Könnte sie das nicht abwenden? Mensch aber auch! Sie schwankte. Aber sie war auch gespannt, was für ein Geschenk sie wohl erwartete. Wie ging das wohl weiter? Carla zog den Sonnenhut ab, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen.
Nach etwa 5 Minuten, die ihr ewig vorkamen, sah sie eine dunkelhäutige Frau mit einem Maimarktschild und einem großen Umschlag auf sich zukommen. Im Schlepptau ein Fotograf, der sie flugs zusammen mit dem Schild für das Foto aufstellte und schon zu knipsen begann. Die Dame schüttelte ihr die Hand und stellte sich vor. Sie sei Chefin des Tourismusverbands Cabo Verde: „Wir haben das Präsent für Sie als 300.000. Besucherin auf dem Maimarkt gestiftet. Es ist eine einwöchige Reise für zwei Personen zur größten Insel von Kap Verde: Santiago. Mit Flug, Halbpension, Ausflügen. Wissen Sie schon, wen Sie mitnehmen?“ Carla konnte sie bloß anstarren. Kap Verde? Santiago? Insel? Bilder tauchten vor ihrem Auge auf, von Sandstränden, Meer, Palmen. Dann konnte sie nicht mehr und brach in Lachen aus. Es war zu unglaublich. Der Fotograf knipste weiter. Dann stellte er noch ein paar Fragen zu ihrem Namen und Wohnort, und ob Sie regelmäßig zum Maimarkt käme. Carla erwachte aus ihrem freudigen Schock. „Ja, ich liebe es, hier mit den Massen durch die Maimarkthallen zu ziehen, wie in einer großen Familie, jedes Jahr.“ Sie dachte daran, dass sie lieber in der Masse unterging. Doch sie nahm auch wahr, dass die Menschen ringsum ihr applaudierten und sie als Glückspilz bezeichneten. Sie sahen sie an und sie freuten sich mit ihr. Und Carla freute sich darüber. Es war alles in Ordnung. Auch oben auf der Welle.
Diese Geschichte wurde inspiriert vom Writing Prompt Day 9 von Julie Duffy http://storyaday.org/day-9-character-desire: In den ersten Sätzen der Geschichte den Wunsch der Hauptfigur deutlich machen. Und sie dann in eine Situation versetzen, die im Konflikt mit diesem Wunsch steht.
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