Livia Grupp, Text & Schreiben

Schreiben

  • Anthologie Projekt txt

    Im vergangenen Jahr hat Katharina Peham nach langer Vorarbeit eine Zusammenschau des Projekt txt veröffentlicht und illustriert. Im Projekt txt haben Autorinnen und Autoren aus dem deutschsprachigen Raum 4 Jahre lang Texte zu Worten geschrieben, die ihnen jeden Monat als Impulse angeboten worden waren. Dabei sind wunderbare Texte entstanden. Die Anthologie enthält Gedichte sowie Kurzgeschichten, jeweils drei Texte zu 24 Themen. Als Neuerung der Darstellung wurden in der Anthologie die Texte in den Vordergrund gerückt, nicht die Autorinnen und Autoren.

    Dennoch bin ich stolz, dass auch ich dabei bin. Im Jahr 2015, noch ganz am Anfang, habe ich an diesem Projekt teilgenommen und einen richtigen Kreativschub erhalten. Eins meiner Gedichte wurde in den Band aufgenommen. Es ist mein Gedicht "abgrundtief".

    Die Anthologie wurde bei epubli veröffentlicht und ist über den Buchhandel für 14,99 € erhältlich:

    Cover von Projekt txt, Bleistifte, Schriftzug 2015-2020

    Anthologie Projet txt, Katharina Peham

    Sprache: Deutsch,ISBN: 9783752978957,Format: DIN A5 hoch,Seiten: 168

     

  • Ein Cluster zum Wort "Gewissen" [*.txt]

    Mein Beitrag zum 14. Wort im Projekt *.txt ist ein Cluster. Das Cluster ist eine Schreibmethode von Gabriele L. Rico, die viele sicherlich aus dem Buch "Garantiert schreiben lernen" kennen.

  • Fassadenspringer [*.txt]

    Fassade also. Am Nachbarhaus wird gerade die Fassade neu gestrichen. Ein leuchtendes Orange erstrahlt nun neben unserem blassen Gelb. Doch interessiert mich vor allem die Metapher. Ich denke an Formulierungen wie "Fassade aufrecht erhalten" oder "Fassade bewahren", mehr Schein als Sein.

    Oder dieses Gedicht aus Schulzeiten über die anonyme Großstadt. Ich habe es noch vage in Erinnerung: "zwei Fassaden Mensch", die sich in der U-Bahn gegenüber sitzen. Der Check via Google ergibt: Das Gedicht heißt "Städter", stammt von Alfred Wolfenstein und wurde 1914 veröffentlicht. Nur heißt es dort "zwei Fassaden Leute" und sie sind in der Tram unterwegs: "Ihre nahen Blicke baden ineinander, ohne Scheu befragt." Gesellschaftskritisch, düster, deprimierend. Und ich habe es damals "geglaubt". Ich lebte auf dem Land und die Großstadt war mir fremd.

    Heute lebe ich in der Stadt, fahre gerne Straßenbahn und empfinde die Mitfahrenden nicht als Fassaden. Auch dann nicht, wenn sie nur Augen – und Ohren – für ihre Smartphones zu haben scheinen.

    Wo es menschelt, ist weniger Fassade. Wo es vor allem ums Image geht, ist mehr Lametta.

    Was mich zu Webseiten bringt. Denn im Internet tummeln sich unzählige Potemkinsche Fassaden, deren einziger Zweck darin besteht, die Nutzer zu Klicks zu verführen bzw. hinters Licht. Es braucht geübte Fassadenkletterer.

    Aber manch einer will es gar nicht. Hinter die Fassade blicken. Kann ja auch bequemer sein. Und Orange ist eine schöne Farbe.

    Soweit meine Fassadenhüpfer. Pardon, Gedankensprünge.


     "Fassade" ist das siebte Wort im Projekt *.txt, das mir dieses Jahr schon diverse Schreibimpulse lieferte. Mehr zum Projekt *.txt und die bisherigen Beiträge auf der Webseite neon wilderness.

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  • Floskelwolke macht die Verbreitung von Phrasen sichtbar

    Dass ein "erdrutschartiger Sieg" eigentlich einem Bild der Verwüstung entspricht, darauf wäre ich von selbst gar nicht gekommen. Die Formulierung ist wie viele Floskeln bereits so verbreitet, dass sie schon nicht mehr hinterfragt wird. Ein bisschen Nachdenken ist beim Schreiben angebracht, das macht die Seite www.floskelwolke.de von Udo Stiehl und Sebastian Pertsch deutlich.

    Die beiden freiberuflichen Nachrichtenredakteure haben Formulierungen zusammengetragen, die abgedroschen, verharmlosend, unpräzise, überflüssig oder schlichtweg falsch sind und damit journalistischen Maßstäben nicht genügen. Solche Phrasen tauchen recht häufig in unseren Medien auf. In dem "Nachrichtengiftschrank" der Webseite sind die einzelnen Formulierungen aufgelistet, dazu gibt es eine kurze Erklärung, was sie zur Floskel macht.

    Erdrutschartig ist eine Floskel - Text als Bild

    Für die Floskelwolke lassen Stiehl und Pertsch mithilfe einer Programmierung rund 1.600 Domains analysieren, Websites von Zeitungen und Magazinen, Radio- und Fernsehsendern in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Daraus werden zweimal täglich die aktuellen Top-Floskeln generiert. Die Wolke macht sichtbar, welche Floskeln, Phrasen, Formulierungen sich in den Medien halten und verbreiten.

    Die CSV-Daten und Floskelwolken stehen auf der Webseite zum Download bereit - und zusätzlich auch ein Floskel-Phrasen-Bullshit-Bingo mit 100 Floskeln, Phrasen, Formulierungen.

    Floskeln als Begriffewolke

  • Man braucht so seine Herausforderungen...

    "Herausforderung" ist ein schönes Wort. Etwas fordert mich, aus mir herauszugehen, mich anzustrengen und zu zeigen, was in mir steckt. Im vergangenen Jahr war meine Teilnahme am Projekt *.txt so eine Herausforderung. Ich habe regelmäßig kreative Texte verfasst, mal Gedichte, mal nachdenkliche Prosa, mal Schreibtipps. Ich bin stolz, dass ich das Jahr über dabei geblieben bin.

    Die 17 Wörter aus dem Jahr 2015, jeweils verlinkt mit meinen Beiträgen:

    Dominik Leitner führt sein Projekt txt 2016 fort und zieht jetzt jeden ersten Mittwoch im Monat ein neues Wort. Auch ich möchte weitermachen, allerdings kombiniert mit neuen Herausforderungen:

    • Ich möchte dieses Jahr die Würze der Kürze schmecken und entdecken. Das heißt, dass ich die ganz kurze Form wähle. Ich möchte Ein-Satz-Stories schreiben.
    • Ich möchte außerdem herausfinden, ob ich Lieder schreiben kann.

    Schaun mer mal. Das neue Wort ist übrigens nichtsdestotrotz.

     

     

  • Nackte Sätze [*.txt]

    ABC-Grafik

    Das ist ein Satz.
    Nackt und bloß. Schnörkellos.
    Nur Subjekt, Verb, Objekt
    verpackt darin. So nackt.

    Aber das da!
    Also, das ist schließlich
    – ohne wenn und aber –
    auch ein schöner, netter Satz,
    Wort für Wort korrekt am Platz,
    und sozusagen weitere Elemente,
    mit Adjektiven und Adverbien
    und Kommata und dies und das,
    ganz nebensächliche Momente,
    nebensätzeweise Nebelsätze
    obendrein, die dich knebeln,
    und auch wer mit Geduld
    dies liest und nicht versteht,
    ist selber schuld (wirklich?),
    weil, wer am Ende nicht mehr weiß,
    was der Satz zur Aussage bringt,
    und wer alsobald um Fassung ringt,
    fliegt aus dem Takt,
    den ihm der Schreiber vorgegeben,
    ganz nackt
    bleibt er zurück
    oder versucht erneut sein Glück,
    und liest vom ersten Wort zum zweiten Wort
    und so weiter und so fort,
    und doch – vielleicht auch nicht,
    denn Lesen muss sich lohnen
    und darum sollst du Leser schonen:
    Schreibe besser einen kurzen Satz.
    Nackt und bloß. Schnörkellos.

    ---

    Wir sind mittlerweile beim neunten Wort im Projekt *.txt angelangt: nackt. Ich bin stolz, dass ich bisher zu jedem Wort etwas verfasst habe, und finde es spannend, wozu wir Mitwirkenden inspiriert werden. Bis Ende des Jahres werden es 17 Wörter sein, zu denen Beiträge ganz unterschiedlichster Art verfasst wurden.

    Zum Einlesen:

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  • Nähe und Distanz im Schreibprozess [*.txt]

    Das 16. und vorletzte Wort im Neon-Wilderness Projekt *.txt lautet "Distanz". Und ich beleuchte hier, warum die Distanz zum Schreiben dazu gehört.

    Als Schreibende brauche ich Nähe zu meinem Tun. Ich öffne mich dem Impuls zum Schreiben, ich gebe mich hin, bin ganz dabei. Grenzenlose Nähe empfinde ich, wenn der kreative Impuls direkt in meine Hände fließt und ich wie elektrisiert schreibe. Wenn ich im Flow bin, bremst mich nichts. Wenn ich im Flow bin, verschmelze ich mit dem, was ich tue.

    Ist doch toll, oder? Wozu soll da Distanz gut sein?

    Ich finde Distanz hilfreich, wenn der Text nicht nur in der eigenen Schublade schlummern soll. Distanz hilft, den Blick zu erweitern und das Geschriebene rund zu machen. Ich halte ein Wechselspiel aus Nähe und Distanz daher für notwendig. Der Text darf dem Autor bzw. der Autorin mitunter ruhig ein wenig "fremd"  werden.

    Zitat Naehe hilft beim Entstehen, Distanz zum Vollenden

    Wie die Distanz entstehen kann:

    • Später lesen:Die Distanz kann eine zeitliche Distanz sein, d. h. ich lese den Text einige Zeit nach dem Schreiben. Wenn ich den Text lese, dann kann mich ein Teil der Gefühle erneut berühren, die ich beim Schreiben hatte. Gleichzeitig kann aber auch der ordnende Geist feststellen, dass einige Formulierungen ein wenig "haken". Der Impuls den Text zu überarbeiten und zu verbessern kann erwachen. Es können daraus neue Varianten des Textes entstehen (die man am besten auch als neue Varianten abspeichert). Mit Varianten zu arbeiten ist hilfreich. Man behält damit die ursprüngliche Version und sieht, wie sich die Textidee entwickelt.
    • Anderer Ort, andere Zeit:Vielleicht mischt sich die zeitliche mit der örtlichen Distanz. Statt direkt am Schreibtisch bzw. am PC oder Laptop lese ich den Text an einem anderen Ort. Ich drucke mir alles aus und lese es zum Beispiel im Wohnzimmer auf dem Sofa oder unterwegs in der Bahn. Das Lesen und Reflektieren steht im Vordergrund. Die Korrekturen oder neuen Ideen zum Text notiere ich mir am Seitenrand, statt sie direkt in die Tastatur zu hauen. Sehr oft fallen einem Fehler und Ungereimtheiten überhaupt erst auf, wenn man sie ausgedruckt (oder auf der Webseite veröffentlichtIcht) sieht.
    • Fremdleser:Distanz entsteht, wenn eine andere Person den eigenen Text liest und dazu Rückmeldungen gibt. Dazu müssen Schreibende ihren Text loslassen. Das ist mitunter eine der schwersten Übungen. Besonders, wenn der Text mit viel Herzblut geschrieben wurde. "Was weiß schon der andere darüber, was man hier gemeint und geschrieben hat?" mag man denken und die Fremdkritik ablehnen. Aber was man selbst beim Schreiben "meinte", kann bei anderen Lesern ganz anders ankommen. Das Loslassen eigener Texte ist Teil des beruflichen Alltags von Schreibenden aller Art. Schließlich muss der Text den Auftraggebern schmecken, vom Chef freigegeben werden oder soll von Verlagen akzeptiert und schließlich von Leserinnen und Lesern gekauft werden.
    • Lektor spielen:Schreibende können bewusst verschiedene Schreibhaltungen einnehmen, d. h. sie können sich vornehmen, ganz bewusst eine Überarbeitungs-Schreibzeit abzuhalten. "Heute bin ich Lektor", dann achte ich nur auf den Textaufbau, auf die Gliederung und eine logische Abfolge, auf Wortwahl und Rechtschreibung, vielleicht auch auf die Formatierung des Texts. Auch damit kann man eine Distanz erzeugen, die dem Text gut tut.
    • Wo ist mein Text?Vielleicht wurde beim Schreiben zuviel Wert auf Distanz gelegt, zuviel Kritik geübt, zuviel überarbeitet. "Das ist nicht mehr mein Text", jammert dann die Schreibseele. Dann sollte man die bisherigen Text-Varianten vergleichen und überlegen, was zu retten ist. Was wollte man eigentlich sagen, mit welcher Änderung ging es verloren? Kann die Schreibseele bei genauerer Betrachtung vielleicht doch entspannen und ihren alten Text loslassen, weil die neue Version besser "funktioniert"?

    Schöpferisch mit Nähe und Distanz

    Ich gehe davon aus, dass alle Kreativen mit Nähe und Distanz arbeiten. Dabei ist nicht immer klar abzugrenzen, wann in der kreativen Schaffensphase gerade "Nähe" oder "Distanz" überwiegt. Manchmal arbeiten wir mit beiden Prinzipien gleichzeitig. Maler treten gerne mal ein paar Schritte zurück, um die Bildwirkung aus der Ferne wahrzunehmen, und malen dann weiter.

    Genauso schreibe ich, lese ich, korrigiere ich, meine Texte immer auch während des Entstehens. Während ich dies hier eintippe, bin ich mittendrin im Schreibgeschehen - und achte dennoch auf ein paar Gestaltungsprinzipien, formatiere einen Listenabschnitt, lese den vorherigen Absatz, schreibe weiter, korrigiere einen Tippfehler und wechsle ständig zwischen Nähe und Distanz.

    Kreativität umfasst jedenfalls nicht nur den Flow-Zustand. Ich fasse es für mich so zusammen: Die Nähe hilft beim Entstehen, die Distanz beim Abschließen bzw. Vollenden des Werks.

  • Strandbad-Gedicht (Fundstück)

    Flussufer-Kieselstrand

    Sonnenschein Wolkenheim
    bring vom Rhein
    mir den Stein

    Wellengang heller Klang
    Kiesel mein
    sing vom Rhein

    Kieselmein riesel fein
    mit dem Sand
    aus der Hand

    Wellengang heller Klang
    aus dem Sand
    aus der Hand

    ---

    Das ist ein Beispiel dafür, warum es gut ist, alte Notizbücher durchzublättern, bevor man sie eventuell entsorgt. Ich fand nämlich so mein Strandbadgedicht wieder. Es entstand vermutlich 2008 oder 2009, als ich am Rhein die Seele baumeln ließ. Etwas über das Strandbad Mannheim findet sich hier und hier.

     

  • Tanzstunde [*.txt]

    Strichzeichnung Mann und Frau tanzen

    Tanzstunde

  • Verstehen [*.txt]

    Wort Nummer 13 im Projekt *.txt von Dominik Leitner ist "verstehen".

    Dies ist meine persönliche Tabelle zu dem, was ich verstehe und was nicht. Es ist eine reine Momentaufnahme, eher subjektiv – und ähem, unvollständig... Ich verstehe natürlich etwas mehr, und mit dem, was ich nicht verstehe (schon rein akustisch), kann man Bände füllen. :-)
     

    Verstehen

     

    Nicht-Verstehen

     

    Den Wechsel der Jahreszeiten

    Den vergessenen Reifenwechsel

    Die Abgabefrist

    Das ewige Suchen nach Belegen

    Den Blick auf die Uhr

    Das zu enge Zeitkorsett

    Die englische Sprache

    Unsägliches Business-Denglisch

    Lust aufs Heute

    Das Missachten der Vergangenheit

    Die Angst, etwas zu verlieren

    Dass sie solche Ängste gezielt schüren

    Die Notwendigkeit des Rebellierens

    Die Gewalt gegen andere

    Den Drang dazuzugehören

    Die Selbstverleugnung

    Das Gefühl der Ohnmacht

    Die Flucht in die Sucht

    Dass die Welt sich dreht Dass die Welt sich einfach immer weiter dreht

    Bei einer Schreibblockade kann auch eine solche Tabelle mit Pro- und Contra-Einfällen helfen. Man erschließt sich damit ein paar Aspekte und verschiedene Perspektiven zu einem Thema.

     

  • Was das Schreiben mit der Hand bringt

    notizblockoil

    Zu gefühlten 90 Prozent schreibe ich alle meine Texte mit der Computertastatur. Zehnfingersystem statt Schreiben mit der rechten Hand. Es geht so schnell, wie ich denken kann - sozusagen Direktverbindung vom Kopf zu den Fingern. Ich schreibe kaum noch von Hand, und meine Handschrift ist für viele Leute kaum lesbar.

    Nun stieß ich auf einen Artikel der New York Times, der das Schreiben von Hand aus Sicht von Psychologen und Neurowissenschaftlern beleuchtet (Konnikova: What’s Lost as Handwriting Fades). Demnach unterstütze das Schreiben von Hand in besonderem Maße die Lernfähigkeiten von Kindern, unter anderem deshalb, weil von Hand geschriebene Buchstaben immer wieder anders aussehen. Es zeuge von einer Lernleistung, auch in abweichenden Formen den gleichen Buchstaben zu erkennen. Der Artikel erwähnt auch eine Studie, derzufolge Kinder, die Texte von Hand schrieben, nicht nur schneller mehr Wörter produzierten, sondern auch mehr Ideen einbauten. Es wirke sich auch auf die Leistungen von Studenten aus, ob sie in Vorlesungen von Hand mitschreiben oder mit der Computertastatur.

  • Wenn Wünschen hilft [*.txt]

    Vom Wünschen alleine wird man nicht satt. Wünschen alleine bezahlt keine Miete oder Strom und Telefon. Wünschen alleine schafft auch nichts.

    Zum Beispiel wünsche ich mir Ordnung und Struktur, im Leben und auch sonst so. Zum Beispiel in der Sockenschublade, damit ich einfach hineingreifen kann und ein zusammengehöriges Sockenpaar finde. Oder Ordnung für das Fach in meinem Küchenschrank, wo Tupper und Kunststoffboxen zusammen mit Plastikdeckeln ein wackeliges Gebilde formen, das vielleicht nicht heute einstürzt, aber vielleicht in einer Woche.

    Soll ich meinen Schreibtisch erwähnen, den Tisch daneben und die Ablageboxen auf dem Boden? Ja, ich habe sehr praktische Ablageboxen. Sie sollten für mich einmal die Wende zu einer einfach einzuhaltenden Ordnung schaffen. Aber das konnten sie ohne mich nicht. Ich glaube, ich habe sogar leere Ablageboxen.

    Ich habe mir vor einigen Jahren eine dicke Vorlagemappe gekauft. Darin wollte ich wichtige Unterlagen nach Monaten und Tagen sortieren, damit ich alles rechtzeitig erledige. Stolz sortierte ich Papiere hinein, immer wieder. Neulich fiel zufällig mein Blick auf die Mappe und ich erschauderte. Die Mappe quoll über vor Papieren. Bestimmt dauert es Tage, das alte Zeugs zu sortieren und zu entsorgen.

    Es gibt viele Ordnungssysteme. Karteikästen, Ringbücher, Plastikablagen, Kartons. Sie sind praktisch und durchdacht. Und jedesmal, wenn wieder einmal Werbung ins Haus flattert für solche praktischen Utensilien, Unterbettkommoden, Flaschensortiertaschen, Sockenschubladenorganizer - dann will ich aufspringen und sofort kaufen. 

    Es ist so verheißungsvoll. Ich glaube immer, dass die Dinge der Anfang vom Ende der Unordnung sind. Ich wünsche es mir.

    Aber es sind nicht die Dinge. Und Wünschen alleine erzeugt keine Ordnung. Am Anfang der Ordnung stehe nämlich ich. Es gibt keinen anderen, der es für mich tut.

    Bei mir herrschen Ordnung und Struktur allerdings nur beim Schreiben: Einen Text zu schreiben, also Buchstaben, Wörter, Satzteile in eine Reihenfolge zu bugsieren, zu der ich Ja sagen kann. Aber gerne doch! Einen langen, langen Text zu strukturieren, ihn mit Zwischenüberschriften aufzuhübschen, mit geordneten (oder ungeordneten) Listen zu versehen, Textteile zu fetten, Absätze zu formatieren. "Ja, ja, ja," ruft es in mir, "Texte her zu mir: Ich ordne euch gerne."

    Wenn Wünschen hilft, dann wünsche ich mir Folgendes:

    • Dass ich meine Schublade voller Socken wie einen Text behandeln kann: Ich würde alle Paare sofort mit einem Bindestrich verbinden, damit sie nicht aus Versehen getrennt werden können. 
    • Dass ich auch den Text im Küchenschrank erkenne: Ich würde die Tuppersatzteile in Reih und Form bringen und die Deckel im Nebensatz erwähnen.
    • Dass ich mein Leben wie einen Text zu lesen lerne und sich mir seine verborgene Ordnung enthüllt.

    Und wenn Wünschen hilft, dann ist dieser Text auch völlig in Ordnung.

    Das wünsche ich mir.

    _____

     Dieser Text entstand durch die Inspiration mit dem Wort "wünschen" des Projekt .txt von Dominik Leitner (www.neonwilderness.net). Bei dem Projekt wird 2015 alle drei Wochen ein Wort gezogen und die teilnehmenden Autorinnen und Autoren haben drei Wochen Zeit, dazu einen Text zu veröffentlichen. Das erste Wort war "Gratwanderung". Alle Beiträge werden hier verlinkt: http://neonwilderness.net/txt/txt-die-beitraege/