Livia Grupp, Text & Schreiben

Am 11. März 2015  teilte Dominik Leitner sein viertes Wort für das Projekt [*.txt] mit. Es lautete "Bild".

Mit Brainstorming, dem Gedankensturm, komme ich schnell auf Ideen: Bilder sind Abbilder, nicht die Wirklichkeit, sondern Kopien. Und selbst da kann man nicht sicher sein. Denn ein Bild ist für mich etwas flaches, die Wirklichkeit ist dreidimensional, also sind Bilder nicht das Echte, Wahre, sondern immer nur Darstellungsversuche. Auch Fotos und Zeichnungen, Illustrationen. Alles Versuche, etwas bildlich festzuhalten, zu dokumentieren. Versuche, einen Sachverhalt oder Gefühle in Bildern auszudrücken.

Pinterest kommt mir in den Sinn. Was passiert da?

Auf Pinterest sehe ich lauter fröhliche, bunte, helle Bilder. Bilder zu Kunst und Design, von Handarbeiten, von Kuchen und fremden Ländern, von Einrichtungsideen, wilden Tieren und niedlichen Kindern. Ich scrolle von oben nach unten, immer weiter, immer wieder eine neue Reihe von Bildern. Manchen Bildern gebe ich ein Herzchen, zum Zeichen, dass ich sie liebe. Manche pinne ich mit einem Klick an meine eigene Pinnwand, und manchmal kommentiere ich die Bilder und schreibe vielleicht "awesome" oder "wunderbar". Ich scrolle immer weiter und weiter und staune und halte mich für kreativ, während ich Bilder schaue. In dem Moment denke ich nämlich, dass ich diese wunderbaren Bilder als Inspirationen nutzen, dass ich die Ideen einmal selbst umsetzen könnte. Was für eine Illusion! Ich grase nur die Bilder ab, wie ein Roboter. Die schiere Fülle an Bildern bei Pinterest macht mich leer. Zum Glück höre ich von selbst auf.

Dafür können ja die Bilder nichts, könnte man meinen. Aber vielleicht können sie ja doch etwas dafür: Ich halte sie für zu perfekt. Denn bei Pinterest (und seinen Nutzerinnen und Nutzern) siegt die Schönheit vor dem bloßen Abbild. Es siegt der Drang, ein Bild zu präsentieren, das "awesome" ist. "Awesome" ist aber häufig nicht die Realität, sondern die Bildbearbeitung, mit der wir solche hellen, fröhlich-bunten, glatten Bildchen erzeugen können. Wie in der Werbung. OK, Pinterest ist sowieso wie Werbung, nicht wahr? Das ist ja nicht die Realität.

Während ich darüber nachdachte, wie und was ich über Bilder schreiben könnte, passierte die Realität.

Es gab viele Bilder zum Absturz der A 320, Filme über die Szenerie in den französischen Alpen (was anderes ist ein Film als eine Abfolge von Bildern?). Ich erkannte nie das Flugzeug auf diesen Bildern, aber ich konnte erahnen, dass da mal eins war. Mit Worten erklärten die Journalisten die Bilder, die aus einem Hubschrauber gefilmt wurden. Die Nachrichten wurden mit weiteren Bildern versorgt: Merkel und Hollande, Reporter vor Ort, Pressekonferenzen der Fluggesellschaft, dazwischen Bilder von früheren Flugzeugabstürzen und ein Bericht des Börsenberichterstatters, ewige Lichter und Blumenberge vor einer Schule, trauernde Angehörige in dem französischen Ort. Recht am eigenen Bild? Großes Fragezeichen. Hauptsache die Nachrichten haben Bilder. Und natürlich ist eine solche Art Katastrophenjournalismus zu kritisieren, (siehe Bildblog).

Bewegen solche realistischen Bilder denn? Ja, durchaus. Es bewegt mich, dass ich das Flugzeug nicht mehr sehen kann, ich sehe nur Trümmer, kleine Teile von etwas, das einmal ein Flugzeug gewesen ist und jetzt nicht mehr existiert. Aber ich brauche kein Bild der Personen. Das Bild, das mich bisher nicht los lässt, gibt es eigentlich nicht. Es ist in meinem Kopf entstanden, nach Berichten über das, was der Stimmenrecorder des Flugzeugs aufgezeichnet hatte: Ein Menschen sitzt im Cockpit und atmet ruhig, Minuten vor dem Absturz.

Bilder sind nicht die Wirklichkeit. Sie sind sie selbst.