Livia Grupp, Text & Schreiben

Manchmal jagt ein Gedanke den nächsten. Ich bin Spezialistin dafür, immer wieder neu über das Was-Wäre-Wenn nachzugrübFeuersteine am Strand aufgelesen und aufgestapelteln. Dann fällt mein Blick auf einen Stapel Papier, der dringend sortiert werden müsste, und ich muss an all die Dinge denken, die sonst noch zu tun sind - im Haus, bei der Arbeit, mit den Behörden, mit dem Auto. Hier fehlt ein Knopf am Bettbezug, die Kaffeemaschine müsste entkalkt werden. Es ist frappierend, was sich alles an Szenarien und nur in Sekundenschnelle allein im Kopf abspielen kann. Nichts ist damit tatsächlich getan oder gelöst. Die Wirkung ist aber deutlich: Ich fühle mich unwohl, schuldig, angetrieben zur Eile. Als hätte ich kein Recht darauf, auch nur eine Minute nichts zu tun. Dabei halte ich das Nichtstun für ein elementares Grundbedürfnis für Körper, Geist und Seele. Das Gedankenkarussell verhindert (wie die Fliehkraft), dass ich in meiner Mitte bin. Es zieht mich raus aus dem Inneren. Ich brauche deshalb als Gegenpol einen festen Bezugspunkt in mir selbst. Wenn ich meine Mitte gut spüre, dann kann mich nichts so schnell aus der Bahn werfen. Methoden der Stressbewältigung arbeiten mit diesen Mitteln: Atemübungen, Körperbewusstsein kultivieren, Konzentration auf das innere Erleben, Verwurzelung und gute Erdung. Da ist die absolute Ruhe, wie sie in der Meditation kultiviert wird. Die Gedanken auf Ein- und Ausatmung fokussieren, nicht werten, Emotionen loslassen, einfach sein. So wie man den Körper durch beständiges Üben kultivieren kann, so kann man auch die Gedankenwelt kultivieren. Zum Beispiel mit dieser schönen Qigong-Übung: das innere Lächeln. Ich denke dabei an etwas, das mich zum Lächeln bringt. Ich spüre das Lächeln in den Mundwinkeln entstehen, lasse es über das ganze Gesicht ausbreiten und leite es dann in meine inneren Organe bis ich meine, ganz mit diesem Lächeln ausgefüllt zu sein. Dann versiegele ich dieses Körpergefühl, indem ich meine beiden Hände auf den Nabel lege. [caption id="attachment_393" align="alignright" width="120" caption="Das innere Lächeln"]Inneres Lächeln[/caption] Eine solche Übung regelmäßig angewendet, sorgt dafür, dass ich immer wieder lächelnd in meinen Körper hineinschaue. Und das hat so viele entspannende Wirkungen, dass ich sogar glaube, es kann auf Dauer das Gemüt positiv beeinflussen. Und der Stapel Bügelwäsche? Die Arbeit, die heute noch getan werden muss? Nun, ich kann die Arbeit nicht weglächeln. Aber ich kann immer hinterfragen, was wirklich JETZT SOFORT zu tun ist. UND ich kann beeinflussen, wie ich mich mit der Aufgabe fühle. Ich kann mir die Arbeit erleichtern, indem ich sie tue, ohne das Gedankenkarussell anzuwerfen.